11.12.2022

Auf Spurensuche zu mehr Zufriedenheit

Gallneukirchen

Im Wohnhaus Martinstift am Linzerberg in Engerwitzdorf leben Menschen mit Behinderungen mit vielfältigem Unterstützungsbedarf. In acht Wohngemeinschaften begleiten mehr als 120 Kolleg:innen aus dem Fachbereich der Behindertenpädagogik und -arbeit die Bewohner:innen durch ihren Lebensalltag. Im Gespräch mit Karin Schaubmaier, Regionalleitung, geht es um ein Rüstzeug in herausfordernden Zeiten.

Man spürt schon seit längerem, aufgrund aktueller Multibelastungen, eine Art kollektive Unzufriedenheit unter den Mitarbeiter:innen. Obwohl die Personallage weitgehend stabilisiert werden konnte, hält sich zum Teil eine negative Schwingung, die einem unbeschwerten lustvollen Miteinander im Arbeitsalltag im Wege steht. 

Um sich den Ursachen annähern zu können, verlangt es achtsames Hinschauen und Wahrnehmen.

 

Ursachen und Potentiale

Mit dem Prozess zu Spiritual Care hat sich Karin Schaubmaier mit ihrem Team auf den Weg gemacht, sich mehr mit dem „subjektiven Erleben“ jedes:r Einzelnen auseinander zu setzen. Es ist tatsächlich wie eine Spurensuche nach Ursachen, aber auch nach hilfreichen Potentialen, um die Zufriedenheit wieder heben zu können. Ein wichtiges Anliegen und ein großer Auftrag, der nur in vielen Teilschritten gemeinsam erforscht werden kann.

 

Ein erster wesentlicher Schritt ist es, dass sich Mitarbeiter:innen auf den für den Arbeitsalltag durchaus manchmal ungewohnten Prozess einlassen wollen. „Trotz der Fülle an Aufgaben, die zu erledigen sind, machen wir uns auf den Weg und nehmen uns Zeit - für uns. Die Möglichkeit, das, was belastet, benennen zu können, eigene Bedürfnisse, Stärken und Ressourcen bewusst zu machen und diese miteinander zu teilen, stärkt und steht bei Spiritual Care im Vordergrund.“

 

„Was brauche ich im Sinne meiner Selbstfürsorge - was kann ich dafür tun? Was brauchen wir, um gut miteinander in Kontakt zu bleiben - was können wir für uns tun? Wir sind nicht nur Instrumentarien in einer Organisation, die im Sinne unserer Aufgabe funktionieren. Wir sind viel mehr - in unserer Ganzheitlichkeit sind wir Menschen mit Körper, Geist und Seele und dies alles muss gut mit Nahrung versorgt und fürsorglich behandelt werden“, betont Karin Schaubmaier im Gespräch.

 

Im September 2021 startete der Prozess mit Spiritual Care im Wohnhaus Martinstift. Als Pilotprojekt wurde er gemeinsam mit Prof.(FH) Johanna Anzengruber von der Fachhochschule Linz konzipiert, die die begleitende Forschung übernahm. Ganz am Beginn standen die Fokustage. Jede:r einzelne Mitarbeiter:in nahm an einem der Fokustage teil. Vor und nach diesem Tag, wo es um Selbstsorge, eigene Kraftquellen und Bedürfnisse ging, wurden die Kolleg:innen gebeten einen Fragebogen auszufüllen – den sog. Pulscheck. Mit Ende April 2022 waren alle durch diesen Prozessschritt gegangen.

 

Der Pulscheck lieferte sehr bereichernde Ergebnisse: Die persönliche Identifikation mit dem Beruf ist für viele sehr hoch. Mitarbeiter:innen sehen, dass sie einen wichtigen Beitrag in der Begleitung von Menschen mit Behinderungen leisten. Erstaunlicherweise wurde das eigene Team aktuell nicht als haltgebende und stärkende Ressource wahrgenommen. Auch von der Organisation fühle man sich oft allein gelassen und zu wenig wertgeschätzt. Man könnte sagen „Es handelt sich um Einzelkämpfer:innen, die eine hohe Berufsidentifikation haben. Doch die Frage ist: Wie kann man das Team stärken, damit es zur wichtigen Kraftquelle werden kann und, dass aus den vielen Einzelkämpfer:innen wieder ein Miteinander wird, die Freude am gemeinsamen Tun haben?“

 

Die Suche nach etwas Verbindendem

Fragt man Karin Schaubmaier was sie in diesem Prozess positiv stimmt und hoffen lässt: „Die Kolleg:innen, die auf der Suche nach etwas Verbindendem sind, die sich neugierig und offen unserer Aufgabe zuwenden, die wertschätzend miteinander im Dialog bleiben und am gemeinsamen Ganzen interessiert sind. Die Vielfalt an Kompetenzen, die zielgerichtet gebündelt für jede:n Einzelne:n aber auch für uns alle kraftschöpfend gemeinsame Erfolge sind. Teams, die gemeinsam ins Tun kommen, gemeinsame Feste feiern, die einander Halt geben. All dies wünsche und erwarte ich mir für die Mitarbeiter:innen und Bewohner:innen vom Wohnhaus Martinstift.“

 

Wo steht der Prozess jetzt?

„Was uns noch abgeht, ist Spiritual Care in die Praxis zu bekommen, im alltäglichen Tun“. Dafür wurde vor dem Sommer ein Team gebildet – eine „Delegiertengruppe namens Spiritual Care Martinstift“. Aus jedem Wohnbereich beteiligen sich, stellvertretend für ihr Team,  1-2 Kolleg:innen gemeinsam mit Martin Brüggenwerth, Ute Gilly und Sabine Zechmeister als stellvertretende Leitung. Spiritual Care wird sehr praxisnah gedacht. Die Themen kommen von den Mitarbeiter:innen aus dem Wohnhaus Martinstift. Gewählt und umgesetzt werden jene Themen, hinter denen bei den Teams, die meiste Energie steht. Zwei Treffen gab es dazu bereits. Das Team Spiritual Care Martinstift trifft sich regelmäßig. „Wir wollen auf nichts warten, sondern gleich ins Tun kommen. Was uns beschäftigt, uns wichtig ist und uns guttut. Der Prozess muss seine Wirksamkeit entfalten. Es wird nichts vorgegeben. Sehr niederschwellig wird in den Wohnungen diskutiert und die Delegierten nehmen die Anliegen und Ideen mit.“ Themen wie: Kinoabend im Advent, Kultur zur Sterbebegleitung und Abschied, Rituale, Leben im Moment, Kommunikation, Beziehungsarbeit, Elternarbeit, Feierkultur und Orte der Begegnung sind wichtige Anliegen aus den Arbeitsrunden.

 

Ankommen bei den Bewohner:innen

Im Alltag angekommen, geht es natürlich darum, dass all das auch bei den Bewohner:innen spürbar wird. Spiritual Care ist ein Medium, ein Vehikel im Sinne einer guten Care-Arbeit. Triple Care – die Sorge um mich, die Sorge um den anderen, die Sorge um die Organisation – es bildet den Rahmen.

Im Wohnen Martinstift ist vieles im Aufbruch, Spiritual Care zieht leise Spuren. Die Wirkung lässt sich noch nicht festmachen. Eine dritte Befragung unter den Mitarbeiter:innen im Winter soll etwas mehr Aufschluss bringen. Die Fragen werden sein:  Was brauchst du? Was kannst du dazu beitragen? Trägt die Erforschung und Auseinandersetzung mit den eigenen Kraftquellen, aber auch die gemeinsame Spurensuche nach unseren verbindenden Kraftquellen, der achtsame Umgang mit sich und seinem Umfeld zu mehr Zufriedenheit im Arbeitsalltag bei? Und wirkt sich das auch förderlich auf die Mitarbeiter:innen-Gesundheit aus?

 

Danach ist das Pilotprojekt mit der Fachhochschul-Begleitung abgeschlossen – doch Spiritual Care bleibt. Die Auseinandersetzung dazu in den Teams und die Suche nach dem, was die Zufriedenheit weiterhin hebt, ist nachwievor Ziel und Weg zugleich.